Gebaut für Extreme: Was ein Flugzeugfahrwerk aushalten muss | FLUG REVUE

2022-11-10 15:28:35 By : Ms. Nancy Wong

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Das Fahrwerk ist unverzichtbarer Bestandteil jedes Flugzeugs. Je schwerer die Maschinen, desto aufwendiger wird auch das vor allem bei der Landung extrem belastete Räderwerk.

Während des Flugs wird das Fahrwerk, das immerhin rund sechs bis acht Prozent der Betriebsleermasse einer Verkehrsmaschine ausmachen kann, nur ungenutzt mitgeführt. Wenn es aber bei Start und Landung darauf ankommt, werden von ihm Höchstleistungen verlangt. Es gilt zum Beispiel, die 395 Tonnen Landemasse eines Airbus A380 auch bei Sinkraten von drei Metern pro Sekunde unbeschadet auf den Boden zu bekommen und vor dem Ende der Bahn zum Stehen zu bringen – was deutlich über den Werten einer „normalen“ Landung mit 0,5 bis 1 m/s Sinkrate liegt. Im Vergleich dazu knallen Marineflugzeuge durchaus regelmäßig mit 3,8 m/s ohne Ausschweben auf dem Deck eines Flugzeugträgers auf.

Doch nicht nur bei der Landung wird das Fahrwerk extrem belastet: Bei einem Startabbruch mit maximaler Startmasse (575 Tonnen bei der A380) wirken ebenfalls enorme Kräfte, insbesondere auch auf die Kohlefaserbremsen, die Temperaturen über 1000 Grad Celsius erreichen können. Selbst beim Rollen kann das Fahrwerk nicht entspannen. Bei Auslegungen mit mehreren Achsen an einem Federbein treten in engen Kurven schon bei niedrigen Geschwindigkeiten hohe Torsionskräfte auf.

Für die Konstrukteure gilt es also, das Fahrwerk sehr robust und auf äußerste Zuverlässigkeit auszulegen. Bevor es jedoch an die Details der einzelnen Komponenten geht, muss zunächst einmal die generelle Konfiguration festgelegt werden. Bei Verkehrsflugzeugen üblich sind zum Beispiel Bugfahrwerke mit zwei Rädern, die möglichst weit vorn im Rumpf untergebracht werden. So weit jedenfalls, dass sie nach vorn einfahren und dann im Notfall durch ihr Gewicht und mit Unterstützung der Anströmung wieder herausfallen können.

Für die Platzierung des Hauptfahrwerks sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, wie genügend Bodenfreiheit für die meist unter den Tragflächen aufgehängten Triebwerke und ein Heckfreiwinkel, sodass der Rumpf bei den für Start und Landung notwendigen Anstellwinkeln nicht den Boden berührt. Vor allem muss das Hauptfahrwerk so weit hinter dem Schwerpunkt liegen, dass das Flugzeug beim Be- und Entladen oder beim Rangieren nicht nach hinten wegkippt. Das führt oft dazu, dass bei den üblichen Tiefdeckern mit gepfeiltem Flügel ein Knick an der Hinterkante notwendig ist, weil das Bein sonst im Bereich der Landeklappen angeschlagen werden müsste.

Bei der Wahl der Zahl der Hauptfahrwerksbeine und der Räder ist die Belastbarkeit der Start- und Landebahnen sowie der Rollwege und des Vorfeldes zu berücksichtigen (Pavement Classification Number/ PCN). Dieser Aspekt spielt vor allem bei militärischen Transportflugzeugen eine zentrale Rolle, denn hier wird die Fähigkeit verlangt, auf unbefestigten Pisten zu operieren – mit der A400M wurden zum Beispiel auch Landungen am Strand demonstriert. Das Gewicht muss deshalb auf viele Räder verteilt werden – im Falle der An-225 sind es nicht weniger als 32.

Sind alle diese Fragen gelöst, geht es an die Detailkonstruktion. Wichtigstes Bauteil dabei ist das oft massive Federbein mit dem Öldruckstoßdämpfer. Es wird aus ultrahochfestem Stahl oder aus Titan geschmiedet und dann auf kleinste Toleranzen nachbearbeitet. Auch die sonstigen Fahrwerksteile müssen den hohen Belastungen entsprechend ausgelegt sein. Dazu zählen Knick- und Sicherungsstreben für die seitliche Abstützung im ausgefahrenen Zustand ebenso wie Verriegelungsfedern oder Haken und die Spurgabel. Bei mehrrädrigen Fahrwerken sind zudem Bauteile wie ein Achsträger mit zugehörigem Nickdämpfer notwendig. Aus- und Einfahren erfolgt mithilfe eines Hydraulikzylinders, wobei aktuelle Airliner mit Drücken bis 5000 psi arbeiten. Wie andere Flugzeugsysteme durchlaufen auch die Fahrwerke vor der Zulassung umfangreiche Tests, bei denen alle Teile bis zu 150 Prozent ihrer Maximalbelastung geprüft werden. Die Funktionsfähigkeit wird bei Temperaturen von 75 °C (langes Stehen auf einem Wüstenflugplatz) bis minus 55 °C (Temperatur in großen Flughöhen) getestet. Dazu kommt ein brutaler Falltest mit voller Belastung und einer Sinkrate von 3,65 m/s, was 50 Prozent über den zulassungsrelevanten Werten liegt.

Spektakulär ist auch immer der Startabbruchtest mit glühenden Bremsscheiben. Nicht zu vergessen sind natürlich Ermüdungsversuche, die jahrelang dauern können. Hier nennt Safran als einer der großen Fahrwerkshersteller eine Rollleistung der Räder von 80 000 Kilometern. Die Bremsen werden 200 000-mal betätigt. Schon vor dem Erstflug sollte das Fahrwerk rund 10 000 Testzyklen absolviert haben.

Resultat der Tortur: Fahrwerke halten heute rund 15 000 Flugzyklen bis zur ersten großen Überholung stand, was viel länger ist als noch vor 20 Jahren. Entsprechend weniger Einnahmen gibt es aus der Instandsetzung. Auch wenn sich die generelle Auslegung des Fahrwerks von Verkehrsflugzeugen seit Jahrzehnten kaum verändert, hat die Entwicklung im Detail also einiges an Fortschritt gebracht. Und weitere Änderungen sind durchaus in Sicht, um den Anforderungen nach niedrigem Gewicht und kleinem Einbauvolumen noch besser gerecht zu werden.

So wird überlegt, die Bugradsteuerung von der üblichen Hydraulik auf Elektromotoren umzustellen. Auch der Einfahrmechanismus könnte künftig elektrisch betrieben werden. Dazu kommen umweltfreundlichere Verfahren beim Korrosionsschutz und der Lackierung. Eine Idee ist auch die Einführung von aktiven Dämpfungssystemen, um die Belastung beim Rollen zu minimieren. Eventuell könnten für sekundäre Teile auch verstärkt additiv gefertigte Teile oder Teile aus Verbundwerkstoffen verwendet werden. Was die Betreuung während des Betriebs betrifft, bieten integrierte Sensoren für die ständige Zustandsüberwachung und die langfristige Auswertung ihrer Daten das Potenzial, auf „On Condition“-Verfahren umzustellen – immer mit dem Ziel, den dicken Posten für die Fahrwerkswartung zu minimieren.

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