Antike Baumaterialien: Antiquitäten von Häusern

2022-11-10 16:02:42 By : Mr. Tom Yang

Manchmal kommen sie zu spät, obwohl sie extrem schnell waren. Dann liegt der Schatz zertrümmert in einem Container. Oder ein Bagger hat ihn plattgewalzt. Verständnislos stehen Martin Häberle und seine Mitarbeiter dann da, können nur noch mit dem Kopf schütteln.

Ein Traum wäre die gusseiserne Wendeltreppe aus dem Jugendstil gewesen – sie war in einer Villa in Schwäbisch Gmünd eingebaut. Jetzt ist sie unwiederbringlich zerstört. Martin Häberle, Sammler und Händler von historischen Baustoffen sowie Zimmermann, begutachtet ein paar Fragmente.

Auch wenn sie ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen können, sind sie zu schade für den Müll. Der 55-Jährige wird sie deshalb auf den Gerstetter Berg bei Söhnstetten auf der Schwäbischen Alb mitnehmen – zu den Tausenden von historischen Baustoffen, die dort lagern. Die meisten bietet er zum Verkauf an. Manche aber werden für immer bei ihm bleiben.

Wer auf den Gerstetter Berg fährt, passiert zunächst eine relativ schmale Zufahrt. Dann öffnet sich das riesige Gelände, gibt seine Schätze preis. Hier ein wunderschöner Pavillon, der 1855 auf der Weltausstellung in Paris ausgestellt war.

Dort eine menschengroße Skulptur, pure Steinmetzkunst. Hier eine große Kirchenglocke von 1921, dort kunstvoll geschmiedete Gitter mit Goldblumen, die noch vom Reichtum ihrer früheren Besitzerinnen und Besitzer zeugen.

Ein Fachwerkgebäude aus dem 17. Jahrhundert „als Ihr neues Zuhause“ steht zum Verkauf, außerdem zwei gemütliche Blockhütten. Wer nicht ganz so viel Platz hat, kann sich einen historischen Blitzableiter fürs Dach kaufen – davon hat Martin Häberle gleich mehrere. Oder Türmchen. Weitere Exponate finden sich in der 1864 erbauten, früheren Schreinerei der Schwäbischen Hüttenwerke Königsbronn.

Die hat der Zimmermann vor dem Abriss gerettet und Stück für Stück bei sich auf dem Gelände wieder aufgebaut. Nur die Zähne hat er sich noch geputzt, als er in der Zeitung von den Abrissplänen gelesen hat. Dann hat er sich ins Auto gesetzt, ist nach Königsbronn gefahren und hat verhandelt.

Drei Monate lang haben sich die Gespräche hingezogen, bis klar war: Die ehemalige Schreinerei gehört Martin Häberle. Das liebevoll hergerichtete Gebäude ist seit zwölf Jahren Schauhaus für weitere Schätze. Rund 500 Außen-, Innen- und Sondertüren sind dort ausgestellt, zudem rund 120 Fensterläden-Paare und viele Fenster mit Bleiverglasung.

Letztere stammen aus einer Villa in Ravensburg, die für ein paar Millionen Euro verkauft wurde. Dass sie unter Denkmalschutz standen, kümmerte den neuen Besitzer nicht: In einer Nacht- und Nebelaktion ließ er die wertvollen bunten Fenster herausreißen. Rund 30 konnte Martin Häberle noch retten. Für sie sucht er neue Besitzer – neben unzähligen Tür- und Fensterbeschlägen – genauso wie für ein uraltes Fahrrad.

Weiter gibt es beispielsweise eine Abteilung für Sanitär, wo historische Waschbecken und Fliesen zu finden sind. Im dritten Stock ist eine Lampenabteilung. Die ganz teuren Stücke wie eine Wagenfeld-Lampe, ein Bauhaus-Klassiker, werden sicherheitshalber in einer Vitrine präsentiert.

Wie kommt man zu einer solchen Sammlung und wie schafft man es, zwar weiterhin Zimmermannsarbeiten anzubieten, hauptsächlich aber vom Handel mit historischen Baustoffen zu leben und noch dazu fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen?

Martin Häberle sitzt in der Küche der ehemaligen Schreinerei an einem ganz besonderen rustikalen Tisch. Die Umrandung hat er aus alten Balken gebaut. Sie tragen eine rund 400 Kilogramm schwere, zwei mal 1,10 Meter lange und breite Steinplatte, die wiederum auf einem Metallgestell ruht.

Anstelle von Fliesen sind in der Küche alte französische Schindeln über der Arbeitsplatte angebracht – früher bedeckten sie das Dach einer alten Scheune. Dielen dienen als Regalbretter, die Türen der Schränke sind aus alten Fensterläden gefertigt. „Angefangen hat alles, als ich ein altes Haus für meine Familie gekauft habe“, erzählt Martin Häberle.

„Furchtbar verbaut“ sei das alte Haus gewesen. Der Zimmermann entkernte es komplett, verbaute zeitgenössische Materialien. Die musste er überall zusammensammeln, denn einen historischen Baustoffhandel gab es seinerzeit noch nicht.

„Als das Haus seine Würde wiederhatte, hatte ich noch Baumaterialien übrig“, sagt er über die Anfänge seines Baustoffhandels. Und: „Ich konnte nicht mehr aufhören, in Zeitungen, im Sperrmüll, auf Flohmärkten, in Kellern und Dachböden nach Schätzen zu suchen. Das ist wie eine Sucht, die auch noch umweltfreundlich ist“, erklärt er schmunzelnd und fügt an: „Vielleicht ist es auch der besondere Geruch, die Geschichte, die jedes einzelne Stück hat und die mich anziehen. Wahrscheinlich ist es aber auch das Überraschungsmoment. Du weißt nie, worauf du stößt. Und du lernst immer dazu.“

So hatte Häberle einmal einen Koffer mit drei Beinen gekauft. Drin waren ein ovales und ein rundes Becken. Das Rätsel, wozu er einst diente, löste ein Kunde. Er wusste, dass es sich um eine Reisetoilette für edle Damen handelte – das ovale Becken war als Bidet gedacht, das runde als Waschbecken.

Lange wird Martin Häberle für seine Sammelleidenschaft ausgelacht. Doch der Zimmermann hat offenbar schon bevor überall die Rede von Nachhaltigkeit und Recycling ist, erkannt: „Alte Baustoffe sind viel zu schade zum Wegwerfen. Zudem ist die Wiederverwendung von Bauelementen Recycling auf höchster Wertstufe. Sie alle verdienen ein zweites Leben.“

Also sammelt der Zimmermann auf dem Gerstetter Berg am Rande von Söhnstätten weiter. Mittlerweile hat Häberle Zimmerleute und Schreiner sowie eine Bürokraft eingestellt, das Unternehmen ist mit einem Stapler und einem Lkw mit Kran ausgestattet. Manche Arbeiten bleiben trotzdem ein Kraftakt – wie das Schleppen einer rund 90 Kilogramm schweren Haustür mit Oberlicht.

Die stammt aus einer Villa in Heidenheim und soll demnächst in Nürnberg neue Dienste tun. Die historischen Baustoffe, die übersichtlich präsentiert werden, „zeugen von guter Handwerksarbeit und haben ihren Preis“, erklärt Martin Häberle.

„Nie hätte ich gedacht, dass aus meiner Sammelleidenschaft so was wird“, gesteht der Zimmermann. 80 Prozent der Ware geht mittlerweile übers Internet weg. Trotzdem pilgern Fans von historischen Baustoffen auf den Gerstetter Berg: Architekten und Handwerker aus der Denkmalpflege, Gastronomen und Ladeneinrichter, Privatleute und seit rund fünf Jahren Neubaukunden.

Sie kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, wollen „ihre“ Baustoffe anfassen, sehen. Es ist die Atmosphäre, die sie anzieht, erzählt eine junge Frau. Eigentlich wollte sie mit ihrem Mann ein altes Haus kaufen. Weil das nicht geklappt hat, bauen die beiden jetzt neu. Zwei, drei Besonderheiten planen sie mit historischen Baustoffen ein.

Fest steht schon mal: Der Gang wird mit alten Backsteinen im Fischgrätmuster verlegt. Martin Häberle zeigt im neuen Anbau einer ebenfalls umgesiedelten alten Schule, wie das Bad aussehen könnte: Ein Fliesenbild aus vier bemalten Fliesen rahmt den historischen Wasserhahn ein, auch das Waschbecken ist selbstverständlich alt. Die Decke im Gang ist mit Kupferblech verkleidet, das früher einen Kirchturm vor Wind und Wetter schützte.

Hat Häberle das Gewünschte nicht im Fundus, kontaktiert er eine Kollegin oder einen Kollegen vom „Unternehmerverband Historische Baustoffe“ (UHB). 14 Unternehmer haben sich 1992 zusammengeschlossen, mit dem Ziel, „der großangelegten Vernichtung von historischen Baustoffen entgegenzuwirken.“

Dabei gingen sie von der Erkenntnis aus, „dass diese Baustoffe Kulturgüter sind, die die Bau- und Wohnkultur beschreiben und über zum Teil längst vergangene Handwerkskünste Auskunft geben“, heißt es beim UHB.

Daraus entstand eine Präambel, die der Verbandssatzung vorangestellt ist: „Das architektonische Erbe ist ein unersetzlicher Ausdruck des Reichtums und der Vielfalt menschlicher Kultur. Die denkmalpflegerische Zielsetzung, dieses Erbe an seinem angestammten Ort zu erhalten, hat für uns Priorität. Erst wenn der Erhalt historischer baulicher Anlagen am angestammten Ort nicht mehr möglich ist, halten wir es für unsere Pflicht aus kulturhistorischen und ökologischen Gründen diese Anlagen insgesamt oder Teile davon durch behutsamen selektiven Rückbau für die Nachwelt zu erhalten.“

Aktuell zählt der Verband 30 Mitglieder und eine ständig wachsende Zahl von Fördermitgliedern. Den besonderen Reiz der Branche beschreibt man beim UHB folgendermaßen: „Es gibt auch für den erfahrenen Händler, der seit mehr als 20 Jahren in dieser Branche tätig ist immer wieder den Moment, in dem er sagen kann: ,So etwas habe ich noch nie gesehen‘.“

Im Umkreis von 100 Kilometern sammeln Martin Häberle und seine Mitarbeitenden, bei ganz besonderen Objekten legen sie auch mal 200 Kilometer zurück.

Von einer Diözese hat der Liebhaber historischer Baustoffe neulich riesige Kerzenleuchter und 500 bis 600 Jahre alte Türen aus der Renaissance inklusive Türrahmen gekauft. „Eigentlich bekommt man so etwas heute nicht mehr“, sagt der Experte. „Da war es klar, dass ich nicht nein sagen konnte.“

Das kann er allerdings dann, wenn es um Schätze geht, an denen sein Herz hängt. So wurde Häberle schon mehrfach von einem Mann gefragt, ob er den alten steinernen Löwen, der mittlerweile bei ihm als Wasserspeier Dienst tut, hergeben würde. Die klare Antwort lautete „Nein“ – auch, als der Mann seine Frau vorschickte. Auch den Gartenpavillon, der auf der Weltausstellung war, würde er nur hergeben, „wenn ich hungern müsste“.

Ist Martin Häberle ein unverbesserlicher Nostalgiker? Überhaupt nicht, sagt der Zimmermann. Der Markt sei nicht statisch, man müsse ihn gut beobachten, wachsam bleiben und mit der Zeit gehen. Die Loft-Welle ebbe gerade ab. Nach wie vor liefen Baustoffe bis ungefähr Ende 1940 gut.

Zusätzlich baut sich gerade ein Hype um das Design der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre auf. Da passt es gut, dass Martin Häberles Lebensgefährtin Claudia Scherr auf seinem Firmengelände gerade die Eröffnung eines Ladens mit Objekten vorbereitet – sie liebt genau diese Zeit. Und, wie könnte es anders sein: natürlich auch historische Baustoffe.