Moskau bekommt von Peking alles, was Putins Kriegsmaschine braucht | STERN.de

2022-11-10 15:56:27 By : Ms. Catherine Fang

Die ganze Welt steht gegen Russland, heißt es. Doch die "ganze Welt" ist in Wahrheit nur ein kleiner Teil davon. Viele Staaten verteilen den Angriffskrieg verbal, halten sich mit weiteren Maßnahmen aber zurück. Andere unterstützen Russland mehr oder weniger offen. Darunter das Land mit der größten industriellen Kapazität der Welt und einer direkten Grenze zu Russland. China liefert keine echten Waffen wie Panzer oder Artillerie, doch bei sogenannten Dual-Use-Gütern, die man zivil oder militärisch nutzen kann, gibt es keine Beschränkung.

Und entsprechend groß sieht Putins Einkaufskorb aus. Das "Wall Street Journal" deckt auf, dass sich das Volumen des von Russland importierten Aluminiumoxid um den Faktor 400 vergrößert hat. Aus dem Oxid wird Aluminium hergestellt, ein Basismaterial für Putins Rüstungsindustrie. Gleichzeitig stiegen die Exporte von Halbleitern und Schaltkreisen.

US-Sanktionen haben in China keinen guten Klang, werden doch auch chinesische Firmen sanktioniert, die den Unmut Washingtons erregen. Damit die Regeln made in Washington mehr Gehör finden, wurden fünf chinesische Elektronikunternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt, weil sie die russische Rüstung unterstützt haben sollen. Chinas Unterstützung sei "im Großen und Ganzen entscheidend für Moskau", schreibt das "Wall Street Journal". Maria Schagina, Expertin für Russland-Sanktionen am Internationalen Institut für Strategische Studien in Berlin, sagte dem Blatt, dass die jüngsten Maßnahmen gegen chinesische Unternehmen zeigen sollen, dass die Drohungen der USA glaubwürdig seien. "Während die USA und ihre Verbündeten bei der Abschreckung Russlands versagt haben, ist es wichtig, China früh genug daran zu hindern, Russland systematisch zu helfen."

Peking hat ein Interesse, den Schaden für chinesische Firmen durch US-Sanktionen klein zu halten, doch wird das Land auch den Eindruck vermeiden wollen, den Befehlen der USA zu gehorchen. Der chinesische Staatschef Xi Jinping hat wiederholt die Unterstützung Pekings für Russland bekräftigt und erklärt, die beiden Länder verbinde eine "Freundschaft ohne Grenzen". Nun steigt die Bedeutung Pekings als Abnehmer von Energie und Rohstoffe und damit als Devisenlieferant für Russland. Gleichzeitig hat China, was Hochtechnologie angeht, in zentralen Bereichen zum Westen aufgeschlossen, wenn es ihn nicht gar überholt hat. Abgesehen von speziellen Ersatzteilen für West-Produkte, dürfte es kaum ein Gut geben, welches nicht auch in China produziert wird.

Die China Poly Group produziert Waffen und Raketentechnologie und Drohnenlasertechnologie. Von ihr sollen Raketenteile stammen, die in dem Luftabwehrsystem S-400 verwandt werden. Neben Halbleitern und speziellen Bauteilen hilft China auch bei den benötigen Rohstoffe. Nach dem Überfall auf die Ukraine verbot Australien die Ausfuhr von Aluminiumoxid. Sofort sind die chinesischen Ausfuhren von Aluminiumoxid nach Russland sprunghaft angestiegen. Die jüngsten Einträge auf der schwarzen Liste des US-Handelsministeriums zeigen ein weiteres Dilemma. Die Exporte laufen nicht direkt über die großen Produzenten, sondern über kleine Händler. Die jetzt genannten Firmen waren immerhin auch mit Westfirmen im Geschäft, und ihnen werden die US-Strafen Schmerzen bereiten. Der logisch nächste Schritt, um die Sanktionen zu umgehen, wäre die Zusammenarbeit mit privaten Mini-Firmen, denen die USA nichts anhaben können, weil sie international nicht tätig sind. Im Westen wurde darüber gespottet, dass Chips aus Haushaltsgeräten in Putins Panzer verbaut wurden. Naive Gemüter stellten sich sogar vor, wie die Chips aus einer Waschmaschine heraus gelötet worden sind. Dabei ist dieser Befund nicht zum Lachen, denn er zeigt nur, dass die Elektronik eines Waffensystems sehr wohl aus dem Ersatzteillager eines Herstellers für Haushaltsgeräte bestückt werden kann. Das "WSJ" führt zudem nur Güter auf, die ganz offiziell vom Zoll genehmigt wurden. Einen Zug beladen mit Aluminiumoxid kann man schwer verstecken. Halbleiter und elektronische Rüstungsgüter hingegen können einfach geschmuggelt werden, wenn der chinesische Zoll nicht so genau hinschaut.

Ob die USA mit den Sanktionen Erfolg haben, wird man bald bemerken. Ohne den Import von Halbleitern kann Russland keine modernen Waffen oder Ausrüstungsgegenstände produzieren. Durch die unvermeidliche Abnutzung im Krieg würde dann alles, was mit Elektronik zu tun hat, zunehmend an der Front fehlen. Gelingt es Moskau dagegen weiterhin Marschflugkörper, Nachtsichtgeräte, Drohnen, Störsender und Ähnliches in die Ukraine zu schicken, laufen die Sanktionen ins Leere.

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